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Wer darf jüdische Geschichte schreiben? Neue Positionen von Nachwuchswissenschaftler:innen

In Deutschland wird wieder über Rassismus gesprochen – gerade unter jungen Forscher:innen. Politische Gruppen migrantischer, Schwarzer Menschen und People of Colour fordern immer wieder dazu auf, dass weiße, nichtmigrantische Menschen ihnen zuhören, sie unterstützen und die eigene whiteness reflektieren sollen. Die migrantische und plurale Gesellschaft ist Lebensrealität. Nun muss ihre Geschichte endlich erzählt werden – die Frage ist nur, von wem. Historiker:innen kommt dabei eine ganz besondere Position zu, beanspruchen sie doch durch wissenschaftliche Standards einen Expert:innenstatus. Ganz ähnliche Fragen stellen sich aktuell auch für die Bedeutung der Erinnerungskultur und einer jüdischen Gegenwart in Deutschland. Gilt es im Licht dieser Debatten die eigenen Beziehungen als Historiker:in zur jüdischen Geschichte neu auszuhandeln? Gerade als nichtjüdische Person? Wer darf jüdische Geschichte schreiben?

Jüdische Studien in Deutschland: Eine persönliche Zeitreise

Der Beitrag soll weder einen Wissenschaftsbericht zum Stand der Jüdischen Studien noch einen Forschungsüberblick darstellen. Vielmehr handelt es sich um eine sehr persönliche Reise durch die Landschaft der Jüdischen Studien (nicht nur) in Deutschland, wie ich sie seit Beginn der 1980er Jahre als Lernender und als Lehrender wahrgenommen habe. Vielleicht lässt sich daraus aber auch etwas Generelles zur Entwicklung des Faches in den letzten vierzig Jahren erschließen.

Editorial 16 (2021), 29

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde von Medaon,

auch wenn es in den Jüdischen Studien und der jüdischen Geschichte weiterhin gute Gründe für nationale Fokussierungen der Forschung gibt, ist ein gleichermaßen berechtigter Trend zur Transnationalisierung zu beobachten. Medaon nimmt diese Entwicklung auf und heißt sehr herzlich zwei neue Redaktionsmitglieder willkommen: David Jünger (Sussex / Rostock) und Katrin Steffen (Sussex), als neue Fachredaktion „Transnationale jüdische Geschichte“, haben sich zum Ziel gesetzt, das Verständnis der deutsch-jüdischen Geschichte in transnationaler Perspektive zu erweitern und gleichzeitig ein Diskussionsforum für die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Ansatzes zu bieten.

Mit der vorliegenden Herbstnummer von Medaon dürfen wir ein besonderes Ereignis verkünden: Wir konnten die 500. Autorin in unserem Redaktionssystem eintragen. Das ist zwar eine viel kleinere Zahl als die 1700 Jahre jüdischer Geschichte in Deutschland; und es gibt leider auch kein Moped. Aber wir bedanken uns aus diesem Anlass nochmals ganz herzlich bei allen unseren Autorinnen und Autoren für ihre vielseitigen Beiträge und freuen uns auf die nächsten 500.

Zuallererst aber freuen wir uns, wieder eine Schwerpunktausgabe präsentieren zu können. Sie widmet sich dem Thema „Jüdische Migration nach 1945“. Unsere Gastherausgeberin Karen Körber vom Hamburger Institut für die Geschichte der deutschen Juden warb dazu eine Reihe hochinteressanter Beiträge zu jüdischen Wanderungsbewegungen vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute ein, zu denen Geschichten von Flucht und Vertreibung ebenso gehören wie Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Eine detailliertere Einführung in den Schwerpunkt und die dazugehörigen Beiträge findet sich in der Einleitung.

Mit der unmittelbaren Nachkriegszeit befasst ist auch ein Artikel außerhalb des Schwerpunkts: Susanne Urban stellt vor, wie Jüdinnen und Juden versuchten, über das Rote Kreuz mit ihren Familien Kontakt aufzunehmen oder etwas über deren Verbleib zu erfahren. Auch in der Rubrik Bildung erscheint in dieser Ausgabe ein begutachteter Artikel. Björn Siegel untersucht darin, wie sich das Medium Podcast in den Geschichtswissenschaften entwickelt hat und welche Potenziale es für die jüdische Geschichte bietet.

Darüber hinaus gibt es einen Beitrag von Frank Ohlhoff zum Hörspaziergang „Shalom Freiburg“ im Bildungs-Ressort und eine Miszelle von Kim Dresel zu Crowdsourcing bei den Arolsen Archives. Magdalena Waligórska und Alexander Friedman belegen die Relevanz der Archivakten des polnischen Amts für Öffentliche Sicherheit am Beispiel der Geschichte des jüdischen Partisanen und Funktionärs Aleksander Kuc. In unserer Reihe zu bedeutenden Jüdinnen schreibt Hannah Lotte Lund über Rahel Levin Varnhagen, in der filmwissenschaftlichen Serie „Einblendungen“ befassen sich die Autor*innen mit dem Thema „Orte“, und natürlich wirft unsere Rezensionsrubrik wieder einen Blick auf aktuelle Literatur.

Für ihre Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Hefts danken wir allen Gutachter*innen sehr herzlich. Die Korrekturen bzw. Übersetzungen übernahmen in der gewohnten Gründlichkeit und Zuverlässigkeit Steffen Schröter von text plus form, Cathleen Bürgelt, Patricia Casey Sutcliffe und Phillip Roth – ihnen sind wir ebenfalls zu großem Dank verpflichtet.

Die Redaktion von Medaon im November 2021.

Jüdische Geschichte(n) erzählen. Podcasting und die Herausforderungen und Chancen eines digitalen Mediums

Der Artikel gibt einen Überblick über die Entwicklung des Mediums Podcast im Bereich der Geschichtswissenschaften und geht den Motiven und Zielen der Podcaster:innen nach. Neben den Fragen des „Wer?“, „Wie?“ und „Warum?“ analysiert er die Herausforderungen und Chancen des Podcasts für die Vermittlung von (jüdischer) Geschichte. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich das Medium Podcast und damit eine Audio-Technologie, die die Rolle der Stimme verstärkt, durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie und das Jubiläumsjahr 2021, das 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland feiert, veränderte und verändert.

„Ich bitte innigst um Nachricht von meinem Kinde …“ Korrespondenzen von Jüdinnen und Juden mit dem Roten Kreuz zwischen circa 1938 und 1942

Dieser Artikel stellt vor, wie Jüdinnen und Juden versuchten, über das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mit ihren Familien Kontakt aufzunehmen oder etwas über deren Verbleib zu erfahren. Hierbei geht es sowohl um Anfragen aus dem Exil als auch aus dem damaligen „Reich“. Es wird dargestellt, woher die Dokumente stammen und wie die Kommunikation funktionierte. Im Zentrum stehen einzelne Anfragen und die damit verbundenen Schicksale.