Das neue Forschungsfeld der Queer Jewish Studies formiert sich durch eine steigende Zahl an Publikationen, die das queere, das heißt nichtheteronormative, Kategorien brechende und disruptive Potenzial in den Jüdischen Studien berücksichtigen. Ausgehend von den Anfängen in den 1980er Jahren, in denen queere Juden*Jüdinnen versuchten, sich Gehör zu verschaffen, liefert dieser Artikel einen Überblick über die bereits erbrachten Leistungen in diesem Feld. Ferner verweist er darauf, wie die Jewish Studies weiter wachsen und eine bessere Version ihrer selbst werden können, wenn sie intersektionale und vielfältigere Perspektiven einnehmen.
Archive
Ohne Grenzen – (Deutsch-)Jüdische Geschichte transnational
In seinem Aufsatz setzt sich der Autor mit den Potentialen transnationaler Ansätze in der deutsch-jüdischen Geschichte auseinander und tritt dafür ein, derartige Ansätze stärker in der deutsch-jüdischen Historiographie zu etablieren. Er vertritt dabei die These, dass jüdische Geschichte im allgemeinen und die deutsch-jüdische Geschichte im besonderen Paradebeispiele trans- nationaler Verflechtungen darstellen und diese Verflechtungen dennoch kaum erforscht werden. Eine der zentralen Gründe für diese nationale Engführung liegt in der historiographischen Bedeutung des Holocausts. Durch die Bindung der deutsch-jüdischen Geschichte an den Holocaust bei gleichzeitiger Betonung dessen historischer Singularität wird auch die deutsch- jüdische Geschichte als eine besondere und singuläre begriffen und somit in der historischen Forschung von ihren transnationalen Bezügen getrennt. Er exemplifiziert diese These anhand der Entwicklungen der deutsch-jüdischen Historiographie nach 1945 bis zur gegenwärtigen Forschungsgeneration. In dieser sind einige vielversprechende Ansätze einer Transnationalisierung der deutsch-jüdischen Geschichte zu verzeichnen (spatial turn, postcolonial studies, German-Jewish diaspora etc.), die sich bisher aber noch nicht zu einem übergreifenden Forschungszusammenhang oder -ansatz ausbilden konnten. Abschließend plädiert er dafür, die deutsch-jüdische Geschichte als transnationale zu erforschen und sich damit auch in der Forschungspraxis möglichst von nationalen Beschränkungen freizumachen.
Eine Virtuelle Plattform Jüdisches Leben in Sachsen. Schlussfolgerungen zur aktuellen Diskussion um ein Jüdisches Museum für Sachsen
Seit einigen Monaten wird in Sachsen über die Errichtung eines Jüdischen Museums diskutiert. Gerungen wird dabei um mögliche Standorte und – bislang noch sehr begrenzt – um erste inhaltliche Ideen, doch eine Analyse der vorhandenen dezentralen Strukturen und Angebote zu jüdischem Leben in Sachsen bleibt aus. Letztere sind in ihren Reichweiten oft regional beschränkt und dadurch für viele ‚unsichtbar‘. Diese vermeintliche Leerstelle ist ein zentrales Argument von Museumsbefürworter:innen. Der Beitrag geht vor diesem Hintergrund auf den Zwischenstand der aktuellen Debatte und die umfangreich vorhandenen Strukturen ein. Er entwickelt darauf aufbauend die Idee einer Virtuellen Plattform Jüdisches Leben in Sachsen, die vernetzend, innovativ wie auch partizipativ gedacht ist und dabei weit über den Gedanken einer rein musealen Repräsentation jüdischen Lebens hinausgeht.
Bildungsarbeit zur jüdischen Geschichte und Kultur in Sachsen. Ein Rückblick auf die letzten 30 Jahre
Der Beitrag wagt einen Rückblick auf die Entwicklungen im Bereich der Bildungsarbeit zur jüdischen Geschichte und Kultur in Sachsen in den letzten 30 Jahren. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme von aktuell existierenden Initiativen, Vereinen und Projekten rund um das Themenfeld wird dargestellt, wie sich die Bildungs- und Vermittlungsarbeit in Sachsen entwickelt haben. Welche Einflussfaktoren haben eine Rolle gespielt und welche Entwicklungspotenziale können benannt werden? Im Beitrag werden fünf Cluster herausgearbeitet und vorgestellt. Eine große Anzahl von Initiativen legt den Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und das Gedenken an die Opfer der Shoa. Die Form dieses Gedenkens ist wiederum sehr vielfältig: Biografische und lokal- historische Vermittlungsformate finden sich ebenso wie zahlreiche Musikprojekte. Daran anschließende und sich teilweise in der Zielsetzung überschneidende Initiativen widmen sich der Bekämpfung und der Prävention von Antisemitismus. Bis auf wenige Ausnahmen liegt der Fokus jedoch sehr stark auf dem Themenfeld Nationalsozialismus und Shoa. Wünschenswert wäre es, dass die Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte noch facettenreicher wird. Im Bereich der Kultur sind die Angebote und Initiativen sehr vielfältig: Von Essen über Theater bis Sport ist alles dabei. Hinzu kommen Angebote der jüdischen Community, die nach innen und nach außen wirken.
Editorial 17 (2022), 30
Ein Blick zurück
Als im Oktober 2007 Hermann Simon der neuen Online-Zeitschrift Medaon viel Erfolg wünschte, war ein solcher noch gar nicht abzusehen. Das für die damalige Zeit noch ungewöhnliche Format, die ehrenamtliche Redaktion bei einem außeruniversitären Träger in Sachsen, das Bemühen um Verbindung der Forschungslandschaft mit Bildungsträgern und den vielen interessierten Laien – all das war Neuland für die Beteiligten wie auch für das Publikum.
Die Initiative war „dem Wunsch geschuldet, ein wissenschaftliches Organ zu etablieren, das der Wissenschaft aber auch dem Sektor der schulischen und akademischen (Aus-)Bildung sowie interessierten wissenschaftlichen Laien einen kostenlosen und niedrigschwelligen Zugang bietet“, so heißt es im Editorial der ersten Ausgabe. Inzwischen hat sich Medaon in der Wissenschaft eine auch international beachtete und anerkannte Position erarbeitet. Erst kürzlich begrüßten wir die 500. Autorin. Gerade die Verknüpfung von universitären und außeruniversitären Diskursen ist ein Alleinstellungsmerkmal der Zeitschrift. Etablierte Forschung verfügt über angemessene Veröffentlichungsmöglichkeiten. Das trifft auf die meisten mit der jüdischen Geschichte vor Ort befassten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht zu, obwohl der Erkenntnisgewinn ihrer Arbeiten oft ganz erheblich ist. Ohne die wissenschaftspolitisch gebotenen lokalhistorischen Forschungen würde die Quellengrundlage für großräumigere Untersuchungen fehlen und ohne die manchmal noch ‚unfertigen‘, aber gleichwohl publikationswürdigen Überlegungen junger Autorinnen und Autoren gäbe es kaum neue und vor allem spannende Hypothesen. Große Resonanz fanden so bspw. die Forschungsberichte zu Juden in Sachsen, die bis heute sowohl für die Weiterentwicklung hiesiger Forschungsfragen als auch für den Vergleich mit anderen Regionen dienen.
Die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift hat sich über die Jahre verändert: Die größeren Formate sind stärker als am Anfang in der wissenschaftlichen Community verankert und werden professionell im Double-blind Peer Review-Verfahren betreut. Die nach wie vor ehrenamtlich tätigen Fachredaktionen diskutieren mit den Autorinnen und Autoren deren Ergebnisse und Texte und nicht zuletzt wachen bewährte Korrektorinnen und Korrektoren über die Kommata und helfen dabei, die Texte verständlich zu gestalten.
Die Finanzierung der technischen Infrastruktur und externen Supports der ehrenamtlichen Redaktionsarbeit als Voraussetzung für das Erscheinen der Zeitschrift wäre ohne Spenderinnen und Spender natürlich gar nicht möglich.
Ein Blick nach vorn
Das Erscheinen der 30. Ausgabe hat die Redaktion zum Anlass genommen, explizit die jungen Forschenden und neue Forschungsmethoden ins Zentrum zu rücken. Viele angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben bei Medaon einen ihrer ersten Beiträge zur Forschungslandschaft geleistet, sei es als Textbeitragende, mit Gutachten, aber auch als Redaktionsmitglieder. Auch diesmal freuen wir uns über Beiträge von Studierenden.
Mit dieser Ausgabe verfolgen wir zweierlei Ziele: Zum einen wollen wir kritisch in den Blick nehmen, wie sich das Fach in den letzten 15 Jahren verändert hat. Dazu zählen die Karrieremöglichkeiten des akademischen Nachwuchses, die Förder- und Studienlandschaft ebenso wie thematische oder methodische Verschiebungen. Zum anderen wollen wir denjenigen, die sich als ‚Nachwuchs‘ verstehen, die Möglichkeit geben, sich in besonderem Maße an der Gestaltung der Ausgabe zu beteiligen, sei es durch eine Reflektion der eigenen Situation oder eine Vorstellung der laufenden Projektarbeit. Auch die Definition des Nachwuchses selbst lässt sich dabei kritisch diskutieren: Wer zählt dazu und warum?
In einem einführenden Beitrag blickt Michael Brenner auf seine eigene wissenschaftliche Biografie und die Veränderungen des Faches in diesen Jahren. Für die Texte der jüngeren Forscherinnen und Forscher haben wir die Rubriken in dieser Ausgabe geöffnet, so dass Platz für ein unterschiedliches Herangehen an die Fragestellungen war. Auch in Zukunft möchten wir Beiträgen in innovativen Formaten Raum bieten und ermutigen Autorinnen und Autoren, ihre Vorstellungen mit den Fachredaktionen zu besprechen. Einen Überblick zur ganz aktuellen Diskussion um die Repräsentation des Jüdischen im Kontext der Debatte um ein ‚Jüdisches Museum‘ in Sachsen geben Larissa Bothe und Daniel Ristau.
Neben diesem Schwerpunkt freuen wir uns auf die Fortsetzung der Reihen zu Biografien jüdischer Frauen mit einem Beitrag zu Lea Goldberg und Einblendungen mit dem Thema Überlieferungen.
Wie immer wäre auch diese Ausgabe nicht möglich gewesen ohne die Arbeit der Gutachterinnen und Gutachter, des Korrektorats und den Übersetzerinnen und Übersetzer. Wir danken sehr herzlich Steffen Schröter von text plus form, Cathleen Bürgelt, Patricia Casey Sutcliffe, Anastasia Kallish, Margaret Schellenberg und Phillip Roth.
Die Redaktion von Medaon im Mai 2022.