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Jüdische Lebensgeschichten aus Hamburg
Einblendungen. Eine deutsch-jüdische Filmgeschichte in fünf Teilen.
Editorial 14 (2020), 26
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde von Medaon,
die vorliegende Ausgabe entstand, wie so vieles gegenwärtig, unter besonders schwierigen Bedingungen. Zu den der Corona-Krise zuzuschreibenden Belastungen dazu kamen unglückliche Verkettungen, an deren Ende uns mehrere geplante Artikel relativ kurzfristig wegbrachen. Es war leider nicht möglich, Ersatz-Beiträge einzuwerben, ohne dadurch den Erscheinungstermin zu gefährden. Trotz aller Widrigkeiten ist es dank des Engagements aller Beteiligten gelungen, doch noch eine interessante Ausgabe der Öffentlichkeit zu übergeben.
Die beiden Beiträge in der Rubrik der begutachteten Artikel befassen sich mit Lebensberichten deutscher Jüdinnen und Juden aus der Zeit des Nationalsozialismus. Vivien Rönneburg untersucht Memoiren von jüdischen Deutschen, denen es gelang, in die USA zu fliehen, vor allem in Hinsicht auf die verflochtenen Identitätskonstruktionen zwischen deutsch-jüdischen und amerikanischen Selbstverständnissen. Kurt Schilde dagegen beschreibt die Geschichte der Familie Frey und präsentiert Ausschnitte aus einem Bericht der in Auschwitz ermordeten Eltern an die Töchter im Exil.
Ebenfalls mit dem erzwungenen Exil durch die Flucht vor dem – hier österreichischen – Antisemitismus beschäftigt sich Chiara Conterno in ihrer Biographie von Stella Roten-burg. Aus dem frühen 19. Jahrhundert dagegen stammt das Testament der jüdischen Unternehmerin Judyta Jakubowiczowa, das von Cornelia Aust vorgestellt und eingeleitet wird.
Zu unserer großen Freude startet in dieser Ausgabe unter dem Titel „Einblendungen“ eine Serie von Beiträgen zur deutsch-jüdischen Filmgeschichte, die Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein präsentieren. Die Ausgabe wird weiter bereichert durch eine Vorstellung der Kritischen Hannah-Arendt-Gesamtausgabe, zwei Berichte aus der Arbeit gegen Antisemitismus der Stiftung Erinnerung-Verantwortung-Zukunft und zu den neuen Anne-Frank-Ausstellungen in den gleichnamigen Institutionen in Berlin und Frankfurt/Main sowie wie immer durch eine Reihe von Rezensionen.
Die Fertigstellung dieses Hefts wäre ohne die Unterstützung aller GutachterInnen nicht zustande gekommen. Die Korrekturen bzw. Übersetzungen übernahmen in der gewohnten Gründlichkeit und Zuverlässigkeit Gunther Gebhard von text plus form, Cathleen Bürgelt und Phillip Roth – ihnen allen danken wir herzlich!
Die Redaktion von Medaon im Mai 2020.
Joshua Teplitsky: Prince of the Press: How One Collector Built History’s Most Enduring and Remarkable Jewish Library
„Vielleicht sind wir aber auch nicht mehr am Leben“ – Der Bericht von Erich und Elsbeth Frey von 1942 für ihre Töchter im Exil
Der blinde jüdische Bankangestellte Erich Frey lebte mit seiner Frau Elsbeth und den Töchtern Liselott und Marie Anne im nationalsozialistischen Berlin. Die Kinder wanderten 1939 nach Großbritannien bzw. in das britische Mandatsgebiet Palästina aus; den Eltern gelang es nicht, ihnen zu folgen. Um die Kinder über das Leben ihrer Eltern in Deutschland zu informieren, verfasste Erich Frey mit Unterstützung seiner Frau im April und Mai 1942 einen zwölfseitigen, eng beschriebenen Bericht. Eine von ursprünglich vier Fassungen ist nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Töchtern gelangt.
Erich Frey arbeitete bis Anfang März 1943 in Otto Weidts Blindenwerkstatt in Berlin-Mitte, Rosenthaler Straße 39. Als die Deportation drohte, ging er mit seiner Frau in den Untergrund. Anfang April 1944 wurde das Ehepaar von der Gestapo aufgespürt und nach Theresienstadt verschleppt. Von dort kamen sie in das Konzentrationslager Auschwitz, wo beide den Tod fanden.
Der Historiker Kurt Schilde hat den Bericht des Ehepaars Frey ediert. Darüber hinaus recherchierte er die Familiengeschichte der Freys und ging den Lebenswegen weiterer Personen nach, die in dem Bericht benannt sind.
„[We] have shed our European mentality“ – Identitätskonstruktionen in Memoiren aus Deutschland in die USA geflohener Jüdinnen und Juden
Dieser Artikel untersucht die Memoiren von vier Jüdinnen und Juden, die zwischen 1934 und 1940 aus Deutschland in die USA flohen. Memoiren werden als identity practices gesehen, das heißt, dass der Akt des Memoirenschreibens unterschiedliche kollektive Identitäten integriert. Diese Memoiren versuchen, den Bruch zwischen einer deutsch-jüdischen und einer nationalen amerikanischen Identität zu überwinden und eine kohärente Biographie zu entwerfen. Dabei streben sie eine zeitliche Kohärenz und die Integration unterschiedlicher Kontexte an.