Archive
Digitale Erinnerungskultur und das Gedenkjahr 1938
Mehr als 80 Jahre trennen uns von 1938, einem Jahr, das für das deutschsprachige Judentum den endgültigen Bruch und das Ende jeglicher Hoffnung markierte. Nach acht Jahrzehnten vollzieht sich zugleich der Übergang vom ‚kommunikativen‘ zum ‚kulturellen Gedächtnis‘ (Assmann); mündlich überlieferte Erfahrung wird durch eine ‚objektivierte Kultur‘ abgelöst, wodurch der langfristige Erhalt und das sichere Verwahren von Archivalien an Bedeutung gewinnen. Moderne Technik erlaubt den Zugang zu fragilen Materialien, ohne deren physische Integrität zu gefährden. Archive, Museen und Forschungseinrichtungen nutzen zunehmend die von moderner Technik eröffneten Optionen, um ihre Bestände einem breiteren Publikum näherzubringen.
Der Beitrag widmet sich einigen dieser Ansätze und Interaktionsmöglichkeiten. Anhand eines vom Leo Baeck Institute initiierten Projekts, dem 1938Projekt – Posts from the Past,schildert er exemplarisch die mit der Digitalisierung und der Veröffentlichung über das Internet verbundenen Herausforderungen wie auch die mit der Erschließung einhergehenden Zusatzaufgaben im digitalen Zeitalter.
„Fahrt nach Fernost“ – Der Fluchtweg des deutsch-jüdischen Journalisten Fritz Friedländer von Berlin über Schanghai nach Australien
Fritz Friedländer gehörte zu den letzten aktiven Mitgliedern des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Für diesen war er in den Jahren 1933 bis 1938 als Lehrer der Jüdischen Knabenschule der Gemeinde Berlin tätig. Auf Grundlage dieser Tätigkeit entwickelte er eine spezifische Lehrmethode für die in Deutschland ausgegrenzten Juden, welche sich auf die Auswanderung ausrichtete. Friedländer selbst verließ Deutschland Anfang 1939 zusammen mit seiner Frau und lebte zunächst in Schanghai, bevor er von dort aus nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich weiter nach Australien auswandern konnte. Der Artikel zeichnet seinen Lebensweg vor dem Hintergrund der dramatischen weltweiten Wandlungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach.
Jüdische Selbstorganisation und Abwehrarbeit in Berlin am Beispiel ost- und südosteuropäischer jüdischer Migration (1880–1893)
Der Artikel beleuchtet die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen der frühen jüdischen Abwehrarbeit und der parallel betriebenen Unterstützung für ost- und südosteuropäische jüdische Emigranten. Der jüdische Transit durch das Deutsche Reich in die Vereinigten Staaten fungierte als Katalysator für antisemitische Agitation gegen die deutschen Juden. Die Migrationshilfe als humanitär motiviertes Engagement wurde dadurch Bestandteil der Abwehrarbeit. Mit der Gründung des C.V. 1893 und des Hilfsvereins der deutschen Juden 1901 setzte eine Ausdifferenzierung von Abwehrarbeit und Migrationshilfe ein.
Editorial 13 (2019), 24
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde von Medaon,
in dieser Ausgabe finden sich vielfältige Beiträge, die sich mit den Herausforderungen als Angehörige einer Minderheit auseinandersetzen. Jüdinnen und Juden müssen seit jeher um die Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft kämpfen. Wir freuen uns, Ihnen unsere aktuelle Ausgabe präsentieren zu können! Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre und bedanken uns herzlich bei allen Autorinnen und Autoren, Gutachterinnen und Gutachtern sowie allen anderen, die uns bei der Erstellung und der technischen Verbesserung unterstützt haben.Wie sich dieser Wunsch auf die verschiedensten Lebenswege ausgewirkt, ist sehr divers und stark abhängig von den (historischen) gesellschaftlichen Gegebenheiten und Voraussetzungen.
Lars Dencik fokussiert, ausgehend von der eigenen Familiengeschichte, die Situation der deutschsprachigen jüdischen Emigranten in den 1930er und 1940er Jahren in Schweden. Der Text stellt Lebenswege von Menschen und deren Neubeginn in den Fokus. Beschrieben wird das Konzept der ‚doppelten Integration‘ – ein Konzept, das sowohl den zahlreichen erfolgreichen biografischen Entwicklungen (bedingt durch die progressive Mentalität der Schweden) als auch den Prägungen durch die erlittenen traumatischen Erfahrungen Rechnung tragen möchte.
Schweden als Exilland spielt auch in der Lebensgeschichte von Róża Fiszman-Sznajdman, die in der Reihe Biografien jüdischer Frauen vorgestellt wird, eine Rolle. Ihre Autobiografie schrieb die überzeugte Kommunistin in Göteborg, wohin sie 1969 aufgrund der antisemitischen Hetze der kommunistischen Regierung in Polen emigrierte.
Antisemitismus ist auch aktuell eine große gesellschaftliche Herausforderung. Insbesondere die Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern, die sie aufgrund ihres Jüdischseins machen, werden in der letzten Zeit stärker bewusst. Das Kompetenzzentrum der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland hat sich diesem Thema angenommen und berät Betroffene, Eltern, Lehrkräfte und Schulen. In dem Beitrag zu Antisemitismus und Schule von Marina Chernivsky bilden die Erfahrungen aus der Praxis eine wichtige Grundlage. In der Rubrik Bildung wird zudem die Onlineplattform ‚Anders denken‘ vorgestellt, die Erfahrungen und Materialien aus der Bildungspraxis zur Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus bündelt.
Andere Herausforderungen für das Miteinander von Jüdinnen und Juden als Minderheit finden sich auch in den weiteren Beiträgen. Welche Herausforderungen ergaben sich, wenn Jüdinnen und Juden nichtjüdische Partner*innen heirateten. Durch Geschichten der Liebe bekommen wir heute noch Einblicke in das Leben der damaligen Zeit – durch die Verfilmung einer solchen Geschichte, Solomon and Gaenor, wurde beispielsweise erst ein Bewusstsein für die jüdische Geschichte von Wales geschaffen. Die Miszelle von Marina Sassenberg thematisiert dieses verborgene Kapitel der europäischen Geschichte und die dazu entstandene Wanderausstellung.
Auch in der Rubrik Quellen findet sich, neben spannenden Akzenten zur sächsisch-jüdischen Geschichte wie die von Andreas Lehnardt besprochenen weiteren Funde mittelalterlicher hebräischer Einbandfragmente aus Dresden und die Vorstellung der Literaturdatenbank Bruch|Stücke durch Martin Munke, ergänzend zur vorherigen Medaon-Ausgabe. Ebenso sind die Themen Liebe und Ehe in dieser Rubrik zu finden. Eva Chrambach hat sich in ihrem Beitrag mit dem Eheschutzvertrag von Elsbeth Pabst mit dem jüdischen Kaufmann Fritz Chrambach auseinandergesetzt. Die Rezensionen zu einer großen Bandbreite an Themen runden auch diese Ausgabe ab.
Leider heißt es auch diesmal, Abschied zu nehmen: Solvejg Höppner verlässt die Redaktion aufgrund neuer beruflicher Herausforderung. Speziell für ihr Engagement bei der Mitarbeit in der Zentralredaktion und in der Teilredaktion „Miszellen“ möchten wir uns bedanken. Wir wünschen ihr für die Zukunft weiterhin viel Erfolg.
Die Fertigstellung dieses Hefts wäre ohne die Unterstützung aller Gutachterinnen und Gutachter nicht zustande gekommen. Die Korrekturen bzw. Übersetzungen übernahmen diesmal Cathleen Bürgelt, Phillip Roth, Margi Schellemberg, Patricia C. Sutcliffe, Steffen Schröter von text plus form und Katharina Wüstefeld – ihnen allen danken wir herzlich!
Die Redaktion von Medaon im Mai 2019.