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Der Antizionismus der Weimarer KPD und das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023

Der Autor zieht im Artikel eine ideengeschichtliche Kontinuitätslinie von den teilweise als antisemitisch zu klassifizierenden Reaktionen aus dem linken Lager auf den Terroranschlag der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zurück bis zur Kommunistischen Partei Deutschlands in der Weimarer Republik, die in ähnlicher Weise auf das Massaker von Hebron im Jahr 1929 reagierte. Besonders in den Blick genommen wird hierbei die Gleichsetzung von Zionismus und Faschismus, die sowohl von vielen linken pro-palästinensischen Gruppen, als auch von der Weimarer KPD forciert wurde. In ideologischer Hinsicht lässt sich diese Gleichsetzung mit dem im marxistisch-leninistischen Weltbild grundiert liegenden verkürzten Antiimperialismus erklären, wodurch dieses Motiv auch im Falle der DDR und der RAF eine gewisse Konstanz aufweist. Im Beitrag soll der These nachgegangen werden, dass ein solcher als Antizionismus chiffrierter Antisemitismus sich bereits für den Fall der Weimarer Republik nachvollziehen lässt, als der Staat Israel noch gar nicht existierte, sondern Palästina ein britisches Mandatsgebiet war.

Verhältnisbestimmungen. Deutschland und die Deutschen nach der Shoah in Autobiografien von ‚Jeckes‘

Nach 1945 erschienen auf dem deutschen Buchmarkt zahlreiche Autobiografien aus der Feder von ‚Jeckes‘ – Israelis, die überwiegend während des Nationalsozialismus in den entstehenden Staat Israel eingewandert waren. Diese Autobiografien können quellenkritisch gelesen in mehrerlei Hinsicht als Quellen für die deutsch-jüdisch-israelische Beziehungsgeschichte nach der Shoah herangezogen werden. Zum einen zeigen die Publikationsgeschichten der Bücher allgemeine Entwicklungen in diesem Verhältnis. Eine genaue Lektüre hebt die Autor:innen zum anderen als Akteure hervor, die in ihren Texten bewusst ihr Verhältnis zur postnationalsozialistischen Gesellschaft verhandeln. 

Diaspora Solidarity and Identity: Shifting Bonds Between Europe’s Jewish Officials and Israel After 7 October

In diesem Artikel wird untersucht, wie sich der Angriff auf Israel am 7. Oktober auf die Beziehungen zwischen den Vertreter:innen der jüdischen Gemeinden in Europa und Israel auswirkt. Dazu wurden Interviews mit Repräsentant:innen jüdischer Gemeinden und Institutionen geführt. Die Auswertung ergab, dass die Ereignisse zu einer größeren Unterstützung und Solidarität mit Israel geführt haben. Darüber hinaus wurde eine stärkere Beteiligung an Hilfsaktionen ebenso wie eine stärkere Verbindung mit Israel beobachtet. Der Angriff veränderte die Wahrnehmung Israels als «sicherer Hafen» und führte zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit jüdischen Identitätsparametern.

Granularities of Dispersion and Materiality. Visualizing a Photo Archive about the Jewish Diaspora

Bedeutungsvolle und sensible digitale Darstellungen für kulturelle Sammlungen zu finden, erfordert eine umsichtige Umsetzung und Zusammenarbeit, von der Datenmodellierung und Katalogisierung bis zur Ideenfindung und Entwicklung von Prototypen. In unserem Beitrag berichten wir von unserer designorientierten Forschung, die sich mit der Visualisierung eines Fotoarchivs über die jüdische Diaspora befasst. Mit dem Ziel, eine Webplattform zu schaffen, die vielfältige explorative und narrative Erlebnisse bietet, reflektieren wir die Verwendung digitaler und analoger Methoden für visuelle Sammlungen, insbesondere für eine Sammlung des jüdischen Kulturerbes.

Ein Sonnenmotor für Palästina – Davis Trietsch (1870–1935) und die frühen Pläne zur Nutzung der Solarenergie im Zionismus

Vor 124 Jahren machte der technikbegeisterte Zionist Davis Trietsch auf einen Sonnenmotor aus Kalifornien aufmerksam, der die künstliche Bewässerung im brennstoffarmen Palästina effizienter gestalten sollte. Seine frühen Pläne zur Nutzung der Solarenergie im Zionismus reihten sich in zeitgenössische Debatten ein, die besonders nach dem Ersten Weltkrieg die natürliche Begrenztheit und Verknappung von Kohle problematisierten und alternative Energieregime diskutierten. Während der Klimaschutz nach heutigen Maßstäben damals noch keine Rolle spielte, verweisen die Diskussionen, die die Pläne zur Besiedlung Palästinas begleiteten, auf die Technikaffinität vieler Zionisten. Gleichzeitig repräsentieren sie den um 1900 wachsenden Einfluss US-amerikanischer Wissensbestände im Frühzionismus.

Editorial 18 (2024), 35

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde von Medaon,

die rein ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Redaktion unsrer Zeitschrift sehen sich derzeit besonders großen beruflichen und persönlichen Herausforderungen gegenüber und auch den Autorinnen und Autoren verlangt die dynamische wissenschaftliche und politische Entwicklung viel ab. Wir freuen uns deshalb besonders, Susanna Kunze als neues Redaktionsmitglied in der Fachredaktion Bildung begrüßen zu können.

Die Artikel dieser Ausgabe widmen sich bei aller Unterschiedlichkeit der konkreten Themen einer gemeinsamen Überlegung: Wie gelingt die Begegnung und der Dialog von Personen und Gruppen mit verschiedenen biografischen Erfahrungen. Anya Zhuravel Segal nimmt uns mit ins Berlin der Zwischenkriegszeit unter dem Titel A Red City: Russian Jews and the Soviet Cultural Presence in Weimar Berlin. Helena Lutz geht der Frage anhand der Kurzgeschichten Isaac Bashevis Singers nach und Dani Kranz und Ina Schaum widmen sich der Leerstelle jüdischer Gegenwart.

Kai Schubert und Christian Tietz betrachten die Implikationen des sogenannten Historikerstreits 2.0 auf die antisemitismuskritische Bildung und ein Berliner Bildungsprojekt des Vereins Vajswerk.

Die Reihe zu Biografien jüdischer Frauen setzt Natalie Naimark Goldberg zu Hannah Kaminski fort, weitere Beiträge thematisieren literaturwissenschaftliche Fragestellungen sowie Erfahrungen aus der digitalen Forschung.

Die Rezensionen der Ausgabe eröffnen ein breites Spektrum an Themen. Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre. Wenn Sie Interesse haben, selbst für Medaon zu rezensieren, zögern Sie nicht, sich bei uns zu melden. Wir freuen uns auf Sie und unterstützen Sie gern.

Auch diese Ausgabe wäre nicht ohne die Unterstützung aller GutachterInnen möglich, denen wir herzlich für ihr Engagement danken. Für die gründlichen und zuverlässigen Korrekturen bzw. Übersetzungen danken wir ebenso herzlich Steffen Schröter von text plus form, Cathleen Bürgelt, Markus Schaub und Margret Schellenberg.

Liebe Leserinnen und Leser,

wir trauern um Dr. Nora Goldenbogen, die für die Forschung zur jüdischen Geschichte und für unsere Zeitschrift immer eine prägende und inspirierende Persönlichkeit war und nicht wenige der Redaktionsmitglieder und Beitragenden bei ihren ersten Schritten auf diesem Forschungsfeld begleitet hat.

Ihrem Andenken widmen wir diese Ausgabe.

Die Redaktion von Medaon im Dezember 2024.

A Red City: Russian Jews and the Soviet Cultural Presence in Weimar Berlin

In Folge des Ersten Weltkriegs und den russischen Revolutionen von 1917 wurde Berlin zu einem der führenden Zentren der russischen Emigration. Im Jahr 1922 erweiterten Sowjetrussland und die Weimarer Republik die gegenseitige diplomatische Anerkennung und ebneten so den Weg für eine weitere Migrationswelle. Dieser Artikel legt nahe, dass russisch bzw. sowjetische jüdische Migranten eine Schlüsselrolle beim Ideentransfer zwischen den beiden Ländern in der frühen Zwischenkriegszeit spielten, gleichzeitig aber auch auf der Suche nach einer neuen jüdischen Kultur waren. Der Artikel untersucht den Fall des Künstlers El Lissitzky, der beispielhaft für eine Kohorte russländischer jüdischer Intellektueller steht, die sich in den 1920er Jahren am Ideentransfer zwischen der Sowjetunion und der Weimarer Republik beteiligten, und untersucht die Sozialgeschichte sich überschneidender russisch-jüdischer Migrantenkreise im Weimarer Berlin. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit diesem Forschungsdesiderat wird zu einem differenzierteren Verständnis des Kulturtransfers zwischen der deutschen, jüdischen und sowjetischen Gesellschaft in der frühen Zwischenkriegszeit führen.