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DDR-Antifaschismus und das Gedenken an die Novemberpogrome 1938. Eine Lokalstudie

Die Zeitgeschichtsforschung hat die öffentliche Memorialkultur der Novemberpogrome des Jahres 1938 für den Zeitraum der DDR mehrfach in ihren tendenziellen Zügen beschrieben. Blieb ein mahnhaft begangener Jahrestag im ostdeutschen politischen Gedenkkalender fast durchgängig ein nachrangiges Ereignis, so soll im vorliegenden Beitrag am Beispiel Dresdens dieser grundsätzlich Befund auf seine lokale Ausprägung im Wandel hin untersucht werden. Auf Basis ausgewerteter lokaler Archivbestände und zeitgenössischer Presseberichte sowie unter Berücksichtigung vorhandener Forschungs- und Erinnerungsliteratur rücken das sich ausdifferenzierende Spektrum der Akteure und ihre jeweilige vergegenwärtigende Annäherung an das historische Ereignis in den Blick.

Dreimal Lehmann nach Berend Lehmann. Marcus, Emil und Jonas Lehmann – Konträre jüdische Grundhaltungen im 19. Jahrhundert

Der berühmte Hofjude Berend Lehmann (1661-1730) hatte drei prominente Namensvettern im 19. Jahrhundert, die jeweils typisch für  konträre jüdische Haltungen: Der orthodoxe Rabbiner Marcus Lehmann (1831-1890) mahnte in Artikeln seiner eigenen Zeitschrift und in Romanen über  jüdische Heldenfiguren die Befolgung der halachischen Traditionen an. Der Dresdner Rechtsanwalt und Politiker Emil Lehmann (1829-1898), der sich für die rechtliche Gleichstellung der Juden mit ihren nichtjüdischen Mitbürgern einsetzte, befürwortete weitgehende Reformen des jüdischen Ritus, die bis hin zur Zusammenlegung von Sabbat und Sonntag und zur Freistellung der Beschneidung reichten. Die Zukunft sah er in einer  allgemein-menschlichen Religion der Sittlichkeit. Marcus’ Sohn Jonas Lehmann (1865-1913) unterschied sich als Autor weltanschaulicher Dramen in nichts mehr von seinen nichtjüdischen Zeitgenossen. Er vertrat die Ansicht, alle theistischen Religionen durch eine pantheistische zu ersetzen. Die trotz aller Unterschiede dominierende Hoffnung der drei Persönlichkeiten auf ihre volle Integration in die deutsche Gesellschaft stellte sich durch den Nationalsozialismus für die folgenden jüdischen Generationen als Illusion heraus.

Wiederaufbau, Neubeginn, Neuorientierung – Jüdische Pädagogik im Nachkriegsdeutschland

Der Neubeginn jüdischen Lebens in Deutschland nach der Shoa wäre ohne den Neubeginn jüdischer Pädagogik nur schwer realisierbar gewesen. Im Artikel  wird die Geschichte der jüdischen Pädagogik nach 1945 nachvollzogen. Ausgehend von der Situation in den DP-Lagern und den zerstörten Städten im Nachkriegsdeutschland über die Zeit der “gepackten Koffer” wird die Frage diskutiert, inwieweit jüdisch-pädagogische Institutionen (mit dem Schwerpunkt auf vorschulischen) zur Wiedererrichtung und Stabilisierung jüdischen Lebens in Deutschland beitrugen. Dabei wird der These nachgegangen, dass die frühe Errichtung jüdisch-pädagogischer Einrichtungen nach 1945, wie den jüdischen Kindergärten, den Wiederaufbau des Judentums in Deutschland positiv beeinflusste.

(Un-)Sichtbare Körper. Über die Wirkungsmacht von jüdischen Körperbildern während des Nationalsozialismus.

Raul Hilberg schrieb einmal, daß das Schicksal europäischer Juden eng mit dem Moment verknüpft war, in dem die staatliche Exekutive ein Gesetz herausbrachte, das festlegte, wer arisch war und wer nicht. Die Unterscheidung zwischen Ariern und Juden beinhaltete und propagierte den Gedanken eines jüdischen Körpers, der sich von anderen, im Speziellen dem “arischen”, unterscheidet. Das Konzept eines spezifisch jüdischen Körpers war keine nationalsozialistische Erfindung. Aber es waren die Nazis, die diesen Begriff in ein bis dahin beispielloses Instrument zur Verfolgung umwandelten. Das “Wissen” um den jüdischen Körper begleitete das deutsche Militär auf ihrem Feldzug durch Europa. Die Besatzer nutzten dieses “Wissen” vor Ort in den besetzten Dörfern und Städten, um Juden zu finden und letzten Endes zu ermorden. Der Text untersucht den Einfluß, den der Begriff “jüdischer Körper” während des 2. Weltkrieges hatte. Er konzentriert sich auf die Frage, wie in extrem gewalttätigen Gesellschaften und Situationen Körper im wahrsten Sinne des Wortes geformt werden.

Religiöse Grundlagen jüdischer Wohltätigkeit. Bedeutung von Religion und Tradition in Zeiten der Modernisierung – Jüdische Wohlfahrtspflege in der Weimarer Republik

Der Beitrag, der sich mit der Entwicklung der jüdischen Wohlfahrt in der Weimarer Republik auseinandersetzt, hat zum Gegenstand, dass die religiösen Grundlagen jüdischer Wohltätigkeit auch für die wichtige Epoche der Transformierung der jüdischen Wohlfahrtspflege im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von entscheidender Bedeutung gewesen sind.

Editorial Ausgabe 2

Mit der hier vorliegenden Ausgabe der Online-Zeitschrift “Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung” erscheint das Heft 2 des noch jungen Periodikums zu Themen, die sich vor einem wissenschaftlichen Hintergrund mit dem Judentum und jüdischem Leben auseinandersetzen. Die Reaktionen auf das im Oktober 2007 erschienene erste Heft lassen uns zuversichtlich in die Zukunft blicken, wurden doch besonders die Themenvielfalt und die Erreichbarkeit über das Internet positiv aufgenommen. Um das Magazin zu verstetigen, haben Herausgeber und Redaktion beschlossen, weitere Ausgaben in einem halbjährigen Rhythmus – jeweils im April und im Oktober – erscheinen zu lassen. Daraus ergibt sich das Manuskripte (mit abstract) bis spätestens zum 15. Februar für die Aprilausgabe sowie zum 15. August für die Oktoberausgabe eingereicht werden müssen. Die Anforderungen an die Textform für die einzelnen Rubriken finden Sie im Impressum. Zugleich behält sich die Redaktion das Recht vor, zu entscheiden, welche der unaufgefordert eingesandten Manuskripte veröffentlicht werden.

Im Heft 2 von “Medaon” bekommen Sie Einblick in eine Reihe von Themen, die sich auf spezifische Weise mit jüdischem Leben und dem Judentum in Geschichte und Gegenwart zuwenden. Michaela Christ setzt sich in ihrem Artikel mit dem Körperbild von Juden in der Zeit des Nationalsozialismus auseinander und untersucht die Auswirkungen dieses Bildes auf die Praxis der Verfolgung sowie dessen Bedeutung für die Verfolgten. Kristina Damm thematisiert in ihrem Artikel den Erziehungs- und den Integrationsbeitrag von jüdischen Kindergärten in Deutschland in der Zeit ab 1945 und hinterfragt diesen in unterschiedlichen zeithistorischen Kontexten (unmittelbare Nachkriegszeit, BRD, DDR). Thomas Fache befasst sich in seiner Untersuchung damit, wie in der DDR-Gedenkkultur die Auseinandersetzung mit den Novemberpogromen von 1938 erfolgte. Hierbei geht es ihm vor allem um den lokalen Umgang mit den Geschehnissen der Novemberpogrome am Beispiel Dresdens. Verena Hennings diskutiert in ihrem Artikel die religiösen Grundlagen einer sich modernisierenden jüdischen Wohlfahrt in der Weimarer Republik und bietet hierdurch auch Anschlüsse für die aktuellen Debatten um den Zusammenhang von Religion und Sozialer Arbeit (siehe hierzu auch die Miszelle von Gudrun Maierhof). Berndt Strobach zeichnet unterschiedlich verlaufende Biographien innerhalb der Familie Lehmann als individuelle Entwicklungswege von Juden im 19. Jahrhundert nach.

Neben den genannten größeren Artikeln finden sich in der Zeitschrift eine Reihe von kleinen Beiträgen, die sich unter anderem den verborgenen Quellen jüdischen Lebens – so den aufgefundenen hebräischen Einband- und Makulaturfragmenten und dem aktuellen Projekt zu dieser Thematik (Andreas Lehnardt) – bzw. den aktuellen Projekten der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (Karoline Georg) zuwenden. Rezensiert werden im aktuellen Heft folgende Bücher, Ausstellungen und Theateraufführungen: Michael Daxner: Der Antisemitismus macht Juden. Gegenreden; Deník Věry Kohnové: The diary of Věra Kohnová – Das Tagebuch der Věra Kohnová; Heinz Eberhard Maul: Warum Japan keine Juden verfolgte. Die Judenpolitik des Kaiserreiches Japan während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945); Arndt Kremer: Deutsche Juden – deutsche Sprache. Jüdische und judenfeindliche Sprachkonzepte und -konflikte 1893-1933; Olga Horak: Von Auschwitz nach Australien. Erinnerungen einer Holocaust-Überlebenden an ihre Kindheit in Bratislava, die Deportation nach Auschwitz, den Todesmarsch von Kurzbach nach Dresden und an die Befreiung in Bergen-Belsen; Uraufführung der Oper “Raoul” am 21. Februar 2008 über den Holocaust von Gershon Kingsley und Michael Kunze am Theater Bremen; die Ausstellung ” Lichtflecke – Frau sein im Holocaust”, gezeigt vom 10. März bis 25. Mai in Dresden.

Mit diesem Heft möchten wir zudem eine kleine Reihe etablieren: Durch Jana Mikota werden jüdische Schriftstellerinnen vorgestellt, die einen erheblichen Beitrag zur Darstellung von jüdischer Kultur, jüdischem Leben bzw. zur Frauenrechtsbewegung geleistet haben.

Zu guter Letzt sei noch auf ein besonderes Anliegen der Redaktion verwiesen: Anläßlich des bevorstehenden 70. Jahrestage der Novemberpogrome von 1938 möchte die Redaktion einen Aufruf an ihre Leserinnen und Leser richten, Fotos, Dias und/oder Filmmaterial, also visuelle Quellen verschiedener Art zu den damaligen Ereignissen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wir bitten daher um eine gesonderte Aufmerksamkeit für den in dieser Ausgabe veröffentlichten Aufruf, der Anliegen und Ziel noch einmal ausführt.

Die Redaktion von MedaonDresden, Mai 2008

Die Ausgabe 2/2008 entstand mit Unterstützung von Jana Mikota, Britta Sommermeyer, Cathleen Bürgelt und Margarete Füßer.