Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde von Medaon,
die aktuelle Ausgabe von Medaon nimmt diesmal sehr unterschiedliche Themenfelder in den Blick. Die Beiträge reichen von sozialwissenschaftlichen Gegenwartsanalysen über historische Tiefenbohrungen bis hin zu innovativen Vermittlungsformaten und neuen Quellenfunden.
Dani Kranz verdeutlicht, dass jüdisches Leben in Deutschland seit 1945 längst über religiöse Zugehörigkeit hinausgeht: Es bildet einen sozialen und kulturellen Resonanzraum, in dem Zugehörigkeit, Identität und Partizipation immer wieder neu ausgehandelt werden – nicht zuletzt durch vielfältige Formen der Konversion. In urbanen Räumen wie dem Frankfurter Bahnhofsviertel untersucht Arndt Emmerich jüdisch-muslimische Interaktionen, die im Alltag Räume der Zusammenarbeit schaffen, gleichzeitig aber auch soziale und politische Spannungen sichtbar machen. Ergänzend beschreibt Günther Jikeli, wie asymmetrisch Diskriminierung wahrgenommen wird und dass konstruktive jüdisch-muslimische Beziehungen aktiver Bildungs- und Dialogarbeit bedürfen.
Einen besonderen Akzent setzt Tina Sanders, die Jean Amérys Konzept des „Katastrophenjuden“ im Licht des 7. Oktober 2023 neu liest. Sie zeigt, wie Ohnmacht, Bedrohung und wachsender globaler Antisemitismus erneut das jüdische Weltvertrauen erschüttern und Amérys Gedanken eine bedrückende Aktualität verleihen. In der Reihe Biografien jüdischer Frauen steht Gerda Lerner im Mittelpunkt – feministische Historikerin, Shoah-Überlebende und Pionierin der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Der Beitrag zeichnet nach, wie Lerner in den 1990er Jahren ihr jüdisches Selbstverständnis neu reflektierte und die eigene Verfolgungs- und Exilerfahrung zunehmend explizit mit ihrem wissenschaftlichen Werk verband.
Im Bereich Bildung rückt diese Ausgabe innovative Vermittlungsformen in den Fokus. Das Digital Remembrance Game Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm zeigt, wie spielerische Zugänge junge Menschen für NS-Verbrechen und jüdische Geschichte sensibilisieren können. Auch die Graphic Novel Zeter und Mordio öffnet neue Perspektiven: Sie nutzt ein visuelles, narrativ starkes Medium, um jüdische Geschichte zugänglich und emotional erfahrbar zu machen. Mit zwei Beiträgen zur Digitalisierung historischer Forschung und Vermittlung setzt das Heft weitere Akzente. Eine Studie zur jüdischen Samson-Schule in Wolfenbüttel (1786–1886) zeigt, wie sich fragmentarische Archivbestände mittels moderner Digitalmethoden in nachhaltige, vernetzte Forschungsdaten überführen lassen. Ein zweites Projekt analysiert digitale Ausstellungen mithilfe von Eye-Tracking und Nutzungsstudien und macht deutlich, dass die Wirksamkeit digitaler Formate entscheidend von nutzer:innenzentriertem Design und guter Kontextualisierung abhängt.
In der Rubrik Quellen wird schließlich eine bemerkenswerte Entdeckung aus dem Stadtarchiv Dresden vorgestellt: ein seltenes hebräisches Pergamentfragment aus einer mittelalterlichen Handschrift des Midrash Sekhel Tov. Es dürfte das früheste jüdische Schriftzeugnis mit Dresden-Bezug sein – kopiert im 13. Jahrhundert, später makuliert und im 17. Jahrhundert als Bucheinband recycelt. Dieses Fundstück eröffnet nicht nur neue Einblicke in mittelalterliches jüdisches Leben, sondern zeigt auch, welche Geschichten selbst unscheinbare Archivreste erzählen können. Die Rezensionen spannen zu guter Letzt einen breiten thematischen Bogen zu aktuellen Publikationen zur jüdischen Geschichte.
Ganz herzlich danken möchten wir an dieser Stelle allen Autor:innen, Gutachter:innen sowie den Mitarbeiter:innen in der Redaktion und im Redaktionsumfeld, die mit ihrem ehrenamtlichen Engagement das Erscheinen der 37. Ausgabe von Medaon ermöglicht haben. Einen besonderen Dank möchten wir an dieser Stelle an Rahel Blume aussprechen, die bislang in der Redaktion Rezensionen wesentlich mitgestaltet hat und nun die Redaktion verlässt. Eine große Unterstützung im Lektorat der englischen Abstracts war in den letzten Jahren zudem Casey Sutcliffe Christ; auch ihr möchten wir für die langjährige Mitwirkung herzlich danken.
Die Redaktion von Medaon im Dezember 2025.
Autor(en): Redaktion Medaon,
Zur Literaturverwaltung hinzufügen: