Editorial Ausgabe 5

In einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe von Medaon geht Mathias Berek am Beispiel des deutsch-jüdischen Philosophen Moritz Lazarus (1824-1903) dem Zusammenhang von proto-soziologischer Theoriebildung und gesellschaftlichem Umfeld im 19. Jahrhundert nach. Unter Nutzung des Lebenswelt-Konzeptes untersucht er dabei dessen basale Konzeptualisierung zentraler Begriffe der entstehenden Kulturwissenschaften bzw. der Kultursoziologie und verweist in theoriegeschichtlicher Hinsicht auf die stellenweise vergessene beziehungsweise verdrängte Autorenschaft Lazarus´.

Susanne Blumesberger widmet ihren Artikel mit ausgewählten Beispielen der Fragestellung, wie in der Kinder- und Jugendliteratur während der Herrschaft des Nationalsozialismus stereotypisierte Bilder von Jüdinnen und Juden gezeichnet wurden und welchen Erziehungszielen sie dienten.

Auf Basis des Nürnberg-Fürther Israelitischen Gemeindeblattes als zentraler Quelle zieht Nadja Bennewitz Schlüsse auf das Alltagsleben von Jüdinnen in Nürnberg von 1933 bis 1938. Im Fokus der lokalgeschichtlichen Studie stehen die Wahrnehmung, die Handlungsoptionen und das Verhalten der Betroffenen angesichts nationalsozialistischer Verfolgung.

Meik Zülsdorf-Kersting setzt sich mit dem Blick von Jugendlichen der dritten und vierten Generation nach der Shoah auf den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden und den Herausforderungen historisch-politischer Bildungsarbeit angesichts des vielzitierten Absterbens der Zeitzeugengeneration auseinander. Von zentralem Interesse sind dabei tradierte und aktualisierte Erklärungsmodelle zwischen Verurteilung und Exkulpation nationalsozialistischer Täterinnen und Täter.

In einem fünften Artikel gibt Georg Lilienthal Einblick in den heutigen Kenntnisstand der Forschung zum nationalsozialistischen Krankenmord an Jüdinnen und Juden. Er weist darin unter Verwendung regionaler Studien unter anderem eine längst nicht endgültige Zahl namentlich bekannter Opfer aus und erläutert darüber hinausweisenden Forschungsbedarf.

Anlässlich einer Tagung, organisiert vom Strassler Center for Holocaust and Genocide Studies (Clark University, Worcester, MA) im April diesen Jahres, bei der Yehuda Bauer das Einführungsreferat hielt, führte Michael Wildt mit dem israelischen Forscher ein Interview zum Stand und den Perspektiven der Forschungen zur Shoah.

Jana Mikota führt in der Reihe „Jüdische Schriftstellerinnen – wieder entdeckt“ in das Leben und Werk von August Hauschner (1850-1924) ein, während Henriette Kunz einen Bericht zur wissenschaftlichen Literatur zu völkischen und antisemitischen Strömungen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Dresden präsentiert; Kunz´ Beitrag entstand im Rahmen eines Praktikums bei HATiKVA e.V., dem Medaon herausgebenden Verein.

Sebastian Pein stellt das vom Fritz Bauer Institut betreute Norbert Wollheim Memorial auf dem Gelände des ehemaligen Verwaltungssitzes der I.G. Farben AG in Frankfurt am Main vor. Zwei weitere Beiträge der Rubrik Bildung beschäftigen sich mit praxisnaher Perspektive mit den Möglichkeiten und spezifischen Herausforderungen der historisch-politischen Bildungsarbeit unter Nutzung der Potentiale des Visual History Archiv des Shoah Foundation Institute (VHA), welches videografierte Interviews von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Shoah unter anderem der (schulischen) Bildungsarbeit zugänglich macht.

Kai Drewes stellt einen kurzen Briefwechsel zwischen dem Fontane-Freund Georg Friedlaender und dem Leiter des Preußischen Heroldsamtes, Hans von Borwitz, vor, der ein Schlaglicht auf die individuelle jüdische und administrative Namens(änderungs)politik in Preußen Anfang des 20. Jahrhunderts im Spannungsfeld zwischen erwünschter Verwischung und verordneter Markierung wirft.

Wie gewohnt geben auch in der aktuellen Ausgabe von Medaon eine Reihe von Rezensionen kritischen Einblick in aktuelle wissenschaftliche Publikationen: hingewiesen werden soll an dieser Stelle nur auf die ausführliche Besprechung von Literatur zum Themenkomplex „Raubkunst und Restitution“ durch Robert Hodonyi.

Die aktuelle Ausgabe von Medaon wäre ohne die Unterstützung von Karin Zenker, Cathleen Bürgelt, Daniela Wittig, Phillip Roth und Joachim Albrecht sowie allen Gutachterinnen und Gutachtern nicht zustande gekommen – die Redaktion dankt ihnen herzlich.

Die Redaktion von Medaon im Oktober 2009